Stellungnahme der Gesellschaft für kritische Bildung zu den Vorwürfen gegen Chantalle El Helou
Stellungnahme der Gesellschaft für kritische Bildung zu den Vorwürfen gegen Chantalle El Helou
Bereits im Mai 2023 hatte das »Autonome Feministische Referat« (FemRef) der Studierendenschaft der Universität Oldenburg ein Statement zum Vortrag »FLINTA – Subjekttheoretische Implikationen eines Akronyms« von El Helou am 10. Mai 2023 an der Universität Oldenburg veröffentlicht. Im November 2024 haben mehrere Organisationen, darunter das »Queer Referat« und der AStA der Universität Hamburg, einen offenen Brief zu El Helous Vortrag »Queere Israelfeindschaft – Judith Butlers Verteidigung der Barbarei« am 15. November 2024 an der Universität Hamburg verfasst. Ebenfalls im November 2024 hat der AStA der Universität Köln sich von El Helou distanziert und für ihren Vortrag »Queere Israelfeindschaft. Judith Butlers Verteidigung der Barbarei« am 3. Dezember 2024 keine finanzielle Unterstützung gewährt. In diesen Dokumenten wird El Helou scharf angegriffen. Ihr werden Trans-, Inter-, Queer- und Menschenfeindlichkeit unterstellt. Sie wird als transexkludierende, radikale Feministin (TERF) diskreditiert sowie eine Distanzierung von ihr und eine Beendigung der Kooperation mit ihr gefordert.
Wir möchten hiermit unsere volle Unterstützung für Chantalle El Helou bekunden und kurz erläutern, warum wir die ihr entgegengebrachten Vorwürfe sowie denunziatorisches Canceling für falsch und gefährlich halten. Damit treten wir für das Aushalten von Kritik an theoretischen Positionen ein – für eine offene Debatte und die Unterscheidung zwischen Kritik und Feindlichkeit. Ebenso wie El Helou vertreten wir einen Anspruch von emanzipatorischer Kritik.
In den Dokumenten wird behauptet, El Helous Kritik an queertheoretischen Positionen würde die Existenz derjenigen Menschen in Frage stellen oder gefährden, die sich als queer, nichtbinär, trans oder inter verstehen. In ihrer Konsequenz fordern die Dokumente, jede Diskussion über Probleme der queer theory, die nicht den Prämissen der Verfasser und Verfasserinnen folgt, zu unterbinden. Aus einer Vorstellung progressiver, wertschätzender Diskurse wird damit eine autoritäre Praxis, in der Emanzipation nicht mittels Diskussion und Kritik, sondern qua Sprechverbot und Einschüchterung, die auf Zensur und Diktat zielen, durchgesetzt werden soll.
Zugrunde liegt diesen wissenschafts- und diskussionsfeindlichen Vorstellungen ein unmittelbarer Übergang von der Kritik an Theorien zur Infragestellung der Existenz von Menschen mit entsprechenden (Identitäts-)Vorstellungen, Idealen oder Praktiken. Ist eine Kritik an Theorien immer zugleich schon eine Feindlichkeit gegen die sie formulierenden Individuen, ist keine Debatte und damit auch keine Aufklärung über diese Theorien mehr möglich. Statt einer differenzierten Auseinandersetzung, die zugleich in Theorien auftauchende gesellschaftliche Bedürfnisse anerkennen und dennoch die ihnen elementaren Probleme und Gefahren herausarbeiten kann, soll so jeder Zweifel ausgeräumt werden. Das setzt unter dem Deckmantel von Betroffenenschutz autoritäre Weisungen durch.
Im Kern geht es in der Auseinandersetzung um unterschiedliche Vorstellungen von Emanzipation in Bezug auf das Geschlecht, die miteinander im Konflikt liegen. Die Dokumente wollen jeweils nur eine Vorstellung von geschlechtlicher Emanzipation anerkennen, die aus der queer theory abgeleitet wird, und leugnen die Möglichkeit anderer Vorstellungen und Konzepte, die nicht der queer theory entsprechen. Die queer theory aber ist lediglich eine Konzeption, die in Abgrenzung und Kritik zu einer Vielzahl feministischer Strömungen und Konzepte entwickelt worden ist. Ob ihre Begriffe und Argumente richtig sind, muss sich in der Auseinandersetzung mit Argumenten feministischer Kritiken ergeben, die andere Vorstellungen der Emanzipation der Frau vertreten. Die wissenschaftliche Qualität der queer theory und ihre Eignung hinsichtlich der geschlechtlichen Emanzipation kann nicht durch den Ausschluss von jeglicher Diskussion bestimmt werden.
Den Zielen von Emanzipation und Wissenschaft widerspricht es ebenso, jede Kritik an islamistischen Vorstellungen und an Judith Butlers Sympathiebekundungen gegenüber solchen Vorstellungen – ihr Hinweis auf die Burka als »eine Übung in Bescheidenheit und Stolz« –, als »antimuslimischen Rassismus« einzuordnen und derartige Vorstellungen und ihre Verteidigung damit von jeder Kritik auszunehmen, wie es in der Stellungnahme des FemRef geschieht. Insgesamt dreht das Statement flächendeckend die Inhalte des Vortrages um: Wo El Helou die Ernsthaftigkeit der Gefahren (in dem Fall der Verlust einer scharfen Kritik an sexueller Gewalt) innerhalb queerfeministischer Positionen deutlich macht, wird ihr im Statement ein »‘Witz‘ über Vergewaltigung« unterstellt. Die Feststellung, dass Biologie gesellschaftliche Relevanz für eine Auseinandersetzung mit dem Begriff von Geschlecht besitzt – etwa der Unterschied von »sex« und »gender« –, wird ihr als Existenzabsprache und Essenzialisierung von Biologie ausgelegt.
Chantalle El Helou vertritt mit ihrer Kritik an Positionen und Begriffen der queer theory einen Anspruch kritischer Theorie, den wir vollauf unterstützen und für einen wichtigen Beitrag im Sinne einer rationalen Auseinandersetzung in und außerhalb der Wissenschaft um die Möglichkeiten von Emanzipation halten. Ihr differenzierter Anspruch an Kritik – und damit verbunden ihre intensive und ernst genommene Auseinandersetzung mit den kritisierten Theorien – zeigt sich in ihrem gesamten Schaffen und muss gegen solche autoritären Ansprüche verteidigt werden. Wir möchten nachdrücklich dafür plädieren, sich dieser Diskussion zu stellen.